Projects and Memories

by Antonio Annunziata

GHOST STORY

The Following Photostory

Was Written and Shot for dffb in 2016 (German)

Nach einem Kinobesuch von Youth, im Umkreis des Münchner Hauptbahnhofs, begann ich damit, entlang einer städtischen Demarkationslinie zu spazieren. Sie führt von der BÖRSE und dem Fünfsternehotel KÖNIGSHOF zum MATHÄSER MULTIPLEX KINO und mündet dann in Straßenzüge ein, die von Imbissbuden, Bars, billigen Hotels und den üblichen Vergnügungsstätten gesäumt werden. Meine Aufmerksamkeit erregte zunächst nicht die betäubende Glitzerwelt der Spielcasinos, sondern die unterkühlte Farbgebung einer Passage, die quer zur Filiale des größten Glücksspielanbieters Deutschlands verläuft, der CASINO MERKUR-Spielothek.

Ich wollte eine Geschichte über ein ultraviolettes Milieu schreiben; wenn das Neonlicht auf ein knalliges Rot und Blau prallt; es hallten Assoziationen zur Ästhetik der hohen Auflösung in Youth wider. Mag sein, dass ich darum auf die Werbeaushänge der angrenzenden Spielothek stieß, die mit einem Spielhallenbesuch an Heiligabend warb.

Abb. I. “Glückliches Fest! – Eine warme und einladende Farbgestaltung machen unsere Spielhallen zu einem Ort der Entspannung und Erholung”

Es sollte also um Spielhallen im Monat der Advente gehen, nicht um den luxuriösen Charme, der die ersten Spielcasinos aus dem XIX. Jahrhundert über die dekadente Epoche der Kurorte hinweg bis in die Gegenwart versetzte. Mich interessierten also nicht die schicken Karten- und Tischspiele von einst, sondern die introvertierte Welt der tönenden und blinkenden Glücksspielautomaten.

Abb. II. A GHOST STORY

Dem Automatenuniversum näherte ich mich durch endlose Spaziergänge an, auf denen ich mir besonders interessante Spielhallen merkte. Während mir das Ambiente vertraut wurde, suchte ich den ersten Kontakt zu den Angestellten. Ob sie mich mit den Geräten vertraut machen könnten? Ob ich unter Umständen auch ein paar Photos machen dürfte – aus persönlichem Interesse, nicht, weil ich es publizieren wollte.

Sobald jedoch das Wörtchen “Photo” fiel, verwandelten sich die Betreiber in argwöhnische Wachhunde, die mich unmissverständlich an die Direktion verwiesen: “Da müssen Sie sich eine Genehmigung holen. Nein, hier drinnen dürfen Sie überhaupt nichts machen! Und wir beantworten auch keine Fragen”.

Die Mitarbeiter der Automatenbunker bestätigten also das, was ich später in der einschlägigen Literatur wiederfand. Dass das Glücksspiel mittlerweile zunehmend um die gesellschaftliche Anerkennung bemüht sei; dass es zumeist aber gerade die Angestellten seien, die da nicht wirklich mitzögen. – Warum wohl?!

Jedenfalls verfestigte sich mein Entschluss, nicht als Dokumentarist aufzutreten, sondern, wenn auch nur für kurze Zeit, einer von ihnen, das heißt Spieler zu werden. Das Internet informierte mich über die Politik der Casinos, die Innovation der Spielautomaten, die neuesten Spiele; die Mehrzahl der Casinobesucher bevorzugt heute das einsame Spiel am Automaten.

Ich fing an, zu zocken. Viel verstand ich dabei nicht. Das Spiel am Automaten ist rasant. Die Animationen der vielen Bildschirme wirken hypnotisierend – nein: sie funktionieren als Iniziatoren, die bei der Entscheidung für ein bestimmtes Gerät, ein bestimmtes Game, indirekt zu beeinflussen wissen. Vor dem Automaten ist man dann ganz weg, muss an gar nichts mehr denken, kann einfach loslassen. Die Kommunikation mit seinen Spielpartnern verläuft dabei gebrochen über die solipsistischen Gerätebarrieren hinweg. “Der macht gerade Pause”. – “Hast du schon was gewonnen?” – “Das gibt’s nicht. Das gib’s doch nicht! Das gibt’s doch nicht!”

Abb. III. “VULKAN-STERN oder: Über Responsible Gaming: ‘ein Programm zur Erkennung und Unterstützung pathologisch gefährdeter Spieler’

Später hatte ich dann einfach Glück. Denn ich erinnerte mich an einen Abend, an dem ich von einem Freund zum Ausgehen mit einer Gruppe von Leuten eingeladen worden war, die sich für gewöhnlich in Welten aufzuhalten pflegen, die mir selbst völlig fremd sind. Denn im Zuge eines Gesprächs über Freimaurerschaften im XXI. Jahrhundert hatte Merkur damals ganz nebenbei bemerkt, dass Venus wieder zum Zocken begonnen habe.

Ich bat also um einen gemeinsamen Abend an den Automaten und wurde großzügig beschenkt; sofern die Betreffenden anonym bleiben konnten. Am Nikolausabend besuchten wir schließlich ein Etablissement am Stadtrand, das der entsprechende Freundeskreis bis vor zwei Jahren regelmäßig besucht hatte. Wir aßen Tiefkühlpizza, besetzten ein paar Automaten, unterhielten uns über die verschiedenen Funktionen, die beliebtesten Spiele und spielten so lange, bis die ersten Freispiele kamen und so die hypnotische Wirkung der Walzen einsetzte.

Abb. IV. “Dolphin’s Moon: ‘Tauche ab in deine ganz persönliche Unterwasserwelt’ ”

“Siehst du! Jetzt krieg’ ich wieder Bock auf die ganzen Freispiele. Das machen die mit Absicht! Gerade, wenn du fast schon am Ende bist, – dann fängt er an, zu geben. Jetzt gibt er. Gib ihn dir, wie er gibt; der gibt jetzt… Krass, oder?! Irgendwann fängst du halt richtig an, mit den Dingern zu reden. Ich meine, du drehst hier einfach komplett durch! Siehst du diese Nummer hier oben? Früher war hier nämlich das Telephonieren verboten. Die Diana glaubte deswegen, da anrufen zu müssen, um zu gewinnen… Mein Vater ist hier einmal reinmarschiert und hat mich so an den Ohren herausgezogen. ‘Siehst du hier auch nur ein anständiges Mädchen!’ – Aber das letzte Mal, als ich 200 Euro gewonnen habe, da habe ich vor dem Ding sogar zum Tanzen angefangen. Ich tanze dann, echt. – Du musst mich mal tanzen sehen!”